Bundestagsrede zum Startchancen-Programm

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!

Zu viele Kinder, die am Ende der Grundschule kaum lesen, rechnen, schreiben können, zu viele, die die Schule ohne Abschluss verlassen, auf der einen Seite und zu wenig Lehrkräfte auf der anderen Seite. Sie alle kennen diese Zahlen; ich muss sie hier nicht rezitieren. Aber die Bildungsforschung liefert uns nicht nur Zahlen. Die Bildungsforschung liefert uns auch einen Lösungsansatz, und zwar gezielt dort zu unterstützen, wo Unterstützung am notwendigsten ist. Mit dem Startchancen-Programm werden wir genau das tun.
Ja, auch wir hätten uns einen früheren Start dieses Programms gewünscht. Aber, liebe Union, was Sie hier machen, ist einfach unseriös. Sie fordern einen Start noch in diesem Jahr, wohl wissend, dass der Haushalt für 2023 schon im letzten Jahr verabschiedet worden ist. Da sind doch selbst Sie schlau genug, um zu wissen: Das ist einfach nur eine Nebelkerze. Wissen Sie was? Sie hätten ja im Haushaltsverfahren einen Änderungsantrag stellen können. Haben Sie aber nicht, lieber Herr Jarzombek. So viel zum Thema „Stunde der Wahrheit“. Das, was Sie hier machen, ist einfach nur ein Schaufensterantrag. Dem haben Sie heute Morgen noch die Krone aufgesetzt. Herr Merz hat sich hier im Plenum endlich mal zum Thema Bildung geäußert, aber das Einzige, was er dazu sagte, war, den Bildungsgipfel zu kritisieren, während es doch die Kultusminister der Unionsländer waren, die nicht gekommen sind und den Gipfel boykottiert haben. Das, liebe Union, ist nicht nur populistisch; das ist Arbeitsverweigerung.

Dieser Antrag, liebe Union, ist auch Arbeitsverweigerung. Ich nehme im Bildungsausschuss immer wieder wahr, dass Sie sich inzwischen bei Oppositionsanträgen relativ häufig mit den Linken einig sind. Deren Anträge finde ich zwar manchmal inhaltlich nicht so ganz richtig; aber die haben doch wenigstens Substanz. Da müssen wir als Regierungsfraktion manchmal wenigstens nachdenken und argumentieren, warum wir dagegen sind. Aber bei so einem ambitionslos hingeschluderten Einseiter, liebe Union, gehen Sie doch bitte mal links rüber und lassen sich ein bisschen Nachhilfe geben, damit wir hier wenigstens eine ernsthafte Debatte führen können.
Ich versuche jetzt trotz allem, eine ernsthafte Debatte zu führen, und komme zurück zur evidenzbasierten Bildungspolitik. Alle Expertinnen und Experten sagen uns, dass wir Ungleiches ungleich behandeln müssen, wenn wir zu mehr Bildungsgerechtigkeit kommen wollen. Wir müssen also weg von der Gießkanne, wir müssen die Ressourcen dorthin stecken, wo sie gebraucht werden, und deshalb müssen wir weg vom Königsteiner Schlüssel. Wie genau ein Sozialindex ausgestaltet ist, können wir
diskutieren. Aber wichtig ist, dass wir beim Startchancen-Programm nicht wieder mit der Gießkanne herumrennen. Nein, das Geld muss da ankommen, wo es am nötigsten gebraucht wird. Und da, liebe Union, sprechen Sie doch bitte mal mit Markus Söder in Bayern oder mit Michael Kretschmer in Sachsen. Genau die beiden sind es doch, die den Königsteiner Schlüssel unbedingt beibehalten wollen und einen Aufbruch in eine evidenzbasierte Mittelverteilung behindern. Und ja, ich glaube sogar, dass es auch in Bayern sanierungsbedürftige Schultoiletten gibt. Aber ganz ehrlich: Markus Söder braucht für neue Schulklos doch nicht den Bund. Ich glaube, das schafft er schon ganz alleine. Damit komme ich zur Ausgestaltung dieses Startchancen-Programms. Ja, Schulsanierung ist wichtig. Aber viel
wichtiger sind die anderen beiden Säulen dieses Programms.

Gerade jetzt, nach der Hochphase der Pandemie, in der Kinder und Jugendliche so stark gelitten haben, so sehr zurückstecken mussten, müssen wir doch genau in diese Bereiche Geld hineinstecken: in die Chancenbudgets und in die Schulsozialarbeit. Mit den Chancenbudgets werden wir Schulen Mittel
zur freien Verfügung stellen. Sportangebote, MINT-Projekte, gezielt zusätzliches Personal – die Schulen wissen doch selbst am besten, was sie vor Ort brauchen. Darüber hinaus werden wir 4 000 Schulen mit zusätzlichen Stellen für Schulsozialarbeit ausstatten. Als Lehrerin, die früher an einer sogenannten Brennpunktschule gearbeitet hat, weiß ich: Hier brauchen wir jede zusätzliche Fachkraft, damit Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter/-innen Hand in Hand arbeiten können zum Wohl der Schüler/-innen, die die Unterstützung am nötigsten brauchen. Lassen Sie mich aber auch klar sagen: Das Startchancen Programm allein wird es nicht richten können. Es ist ein wichtiger Baustein, aber es wird allein nicht reichen.
Wir müssen grundsätzlich ran an unser Bildungssystem: Lehrpläne entschlacken, Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte verbessern, um individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen endlich wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Und wir brauchen auch eine Debatte über Reformen in der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Deswegen ist es so wichtig, dass jetzt,
direkt nach dem Bildungsgipfel, die Arbeitsgruppe zwischen Bund, Ländern und Kommunen schnell eingesetzt wird. In den nächsten Wochen kommt es darauf an, dass sich alle Akteurinnen und Akteure auf eine sinnvolle Ausgestaltung des Startchancen-Programms einigen und sich auch die Union zu einer sinnvollen und evidenzbasierten Mittelverteilung bekennt.

Herzlichen Dank.