🗨 Bundestagrede zu Lehrermangel

Bundestagsrede Lehrermangel

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Bundestagsrede zu Lehrermangel am 29.9.2022

Eine gute Lehrkraft-Kind-Beziehung ist mit die wichtigste Grundlage, um gut lernen zu können. Wir werden als Koalition weiter dafür arbeiten, dass Schüler*innen in unserem Land die beste Bildung durch starke Lehrkräfte bekommen, damit alle die besten Startchancen haben – unabhängig vom Elternhaus.

Nina Stahr

Die ganze Rede zum Nachlesen

Nina Stahr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und bei dem Thema natürlich insbesondere: Liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Schülerinnen und Schüler oben auf den Tribünen! Viele hier im Raum wissen, dass ich Lehrerin bin. Ich kann deshalb aus vollster Überzeugung sagen: Das ist einer der schönsten Berufe, die es überhaupt gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Daniel Baldy [SPD])

Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg ins Leben ein Stück zu begleiten, ihnen zu helfen, zu lernen, zu wachsen, über sich hinauszuwachsen: Das ist eines der erfüllendsten Dinge, die man überhaupt erleben kann.

Und sosehr ich mich als Geschichtslehrerin für die Französische Revolution und noch viel mehr für die
Friedliche Revolution begeistern kann, sosehr mein Herz höherschlägt, wenn der Schüler endlich verstanden hat, dass man „become“ nicht mit „bekommen“ übersetzt, genauso sehr kann ich sagen: Das ist nicht das, was diesen Beruf ausmacht.

Das, was diesen Beruf ausmacht, sind diese Momente: Wenn eine Schülerin, die mit ihren coolen Sprüchen immer den Unterricht stört, beim Besuch einer Gedenkstätte plötzlich deine Hand nimmt, weil sie echten Halt braucht und ihre Sprüche ihr hier nicht mehr helfen. Wenn ein Schüler auf einmal im Unterricht nicht mehr konzentriert ist und zu dir kommt und sagt, dass sich seine Eltern getrennt hätten; dann kannst du in dieser Familiensituation auch nicht helfen, aber du kannst zuhören, da sein und so zumindest ein Stück emotional beistehen.

Oder aber auch, wenn du diesen einen Schüler hast, der immer alles weiß und alles kann und in jeder Diskussion immer genau das sagt, von dem er denkt, dass es die Lehrkraft hören möchte, und du arbeitest monatelang, um aus ihm endlich eine eigene Meinung herauszukitzeln, und auf einmal kommt die eigene Positionierung, und du merkst, dass du diesen Prozess der Meinungsbildung, diesen Prozess der Persönlichkeitsbildung ein Stückchen begleiten durftest und ein Stückchen dazu beitragen konntest, dass dieser Mensch seinen eigenen Weg geht.

Das sind die Momente, für die ich damals Lehrerin geworden bin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber damit diese Momente entstehen, braucht es Vertrauen, und damit Vertrauen entsteht, braucht es Zeit. Zeit, in der Lehrkräfte eben nicht nur Vokabeln und Jahreszahlen pauken, sondern in der sie ihren Schüler/-innen zuhören können. Als ich in einer meiner letzten Reden gesagt habe, dass wir in der Schule mehr Zeit für Beziehungsarbeit brauchen, hat danach jemand kommentiert, dass die Schule doch nicht zum Händchenhalten da ist, sondern für Wissensvermittlung.

Wenn Sie mich fragen, warum zurzeit zu wenige Menschen Lehrer/-innen werden wollen, dann liegt das genau an dieser Einstellung. Diese Einstellung, dass die Lehrkraft dafür da ist, immer nur mehr Wissen in die Schüler reinzukippen, und dass man, ob sie ihren Job gut gemacht hat, dann an den Ergebnissen der Vergleichsarbeiten sieht.

Natürlich ist Schule auch dafür da, dass Kinder und Jugendliche Wissen vermittelt bekommen, aber doch vor allem auch, dass sie Kompetenzen erlernen und Bildung bekommen. Das ist so viel mehr als Wissensvermittlung. Es geht darum, Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ganz wichtig dabei ist – das sind wirklich die Basics der Pädagogik –: Eine gute Beziehung ist mit die wichtigste Grundlage, um lernen zu können.

Gestern haben hier in Berlin die Lehrkräfte gestreikt. Wissen Sie, was die Hauptforderung war? Das war nicht „mehr Geld“ oder „weniger Stunden“; die Hauptforderung war „kleinere Klassen“, weil das dafür sorgt, dass Lehrkräfte ihrem Bildungsauftrag, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern gerecht werden können.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Dafür braucht man mehr! Mehr Lehrer!)

Hier braucht es jetzt vor allem eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern; denn die sind nun einmal hauptsächlich zuständig. Aber als Bund übernehmen wir die Verantwortung und gehen genau das an, was wir als Bund tun können:

(Zurufe der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE])

Wir werden zusammen mit den Ländern eine gemeinsame Koordinierungsstelle Lehrkräftefortbildung einrichten. Insgesamt werden wir vier Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten schaffen. Und mit dem Kompetenzzentrum im MINT-Bereich geht es bereits los.

Wir werden die Qualitätsoffensive Lehrerbildung weiterentwickeln mit Schwerpunkten zu digitaler Bildung, zur dritten Phase der Lehrerbildung und zu bundesweiter Entwicklung des Seiten- und Quereinstiegs.

Auch der Digitalpakt 2.0 wird zur Entlastung von Lehrkräften beitragen können. Wir werden als Bündnisgrüne sehr genau darauf schauen, dass er auch wirklich dazu beiträgt, Bildung zeitgemäß zu denken und eben nicht ein Bildungsverständnis aus dem 20. oder gar Jahrhundert einfach nur zu digitalisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Und natürlich wird – Frau Ludwig – auch das Startchancen-Programm einen Beitrag dazu leisten, dass Lehrer/-innen wieder besser arbeiten können.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Da müssen Sie selber lachen! Das ist gut! – Zuruf der Abg. Daniela Ludwig [CDU/CSU])

– Ich freue mich, dass wir hier gemeinsam ein bisschen Erheiterung haben. Das ist doch gut.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wir wollen das alle gemeinsam machen! Aber dann müssen Sie es auch tun!)

Wenn ich höre, dass in manchen Schulen die Fenster nicht geöffnet werden können, weil sie drohen aus dem Rahmen zu fallen, dann ist es gut, wenn wir die Länder gezielt mit einem Investitionsprogramm unterstützen werden, mit dem wir die Schulen zu einer zeitgemäßen Lernumgebung umbauen.

(Zurufe der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE])

Und wenn an den Schulen mehr Schulsozialarbeiter/-innen sind, wenn also mehr Menschen da sind, die die Schüler/-innen unterstützen, dann entlastet das natürlich auch die Lehrkräfte und gibt ihnen mehr Zeit. Auch das kommt mit dem Startchancen-Programm.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Und ein weiterer Baustein, um mehr Menschen als Lehrkräfte zu gewinnen, ist, liebe AfD, insbesondere diejenigen zu aktivieren, die ohnehin da sind, die nur darauf warten, dass sie hier ihren Beruf wieder ausüben können.

Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen ist deshalb essenziell, und ich bin froh, dass wir uns im Koalitionsvertrag verständigt haben, diese zu beschleunigen und zu vereinfachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, geben wir den Lehrkräften Zeit, damit sie die Momente, die ihren Job ausmachen, wieder erleben können! Sorgen wir dafür, dass sie ihren Freundinnen und Freunden erzählen: „Der schönste Beruf, den es gibt, ist der Lehrerberuf“, und dass ihre Schüler/-innen nach dem Schulabschluss sagen: „Ich möchte Lehrerin oder Lehrer werden“! Der Antrag der AfD-Fraktion leistet dazu leider überhaupt keinen Beitrag.

Wir werden als Koalition aber weiter dafür arbeiten, dass Schüler/-innen in unserem Land die beste Bildung durch starke Lehrkräfte bekommen, damit alle die besten Startchancen haben – unabhängig vom Elternhaus.

Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der FDP)