🗨 Meine Bundestagsrede zum Aufholpaket

Bundestagsrede Nina Stahr zum Aufholpaket

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Bundestagsrede Nina Stahr zum Aufholpaket

Meine Rede in voller Länge

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe CDU,

als ich Ihre Anfrage bzw. Ihren Antrag gelesen habe, da wusste ich gar nicht so recht, wo ich anfangen soll, weil ich so viel den Kopf schütteln musste. Allein das Wort Aufholpaket

Monatelang haben Sie Kinder und Jugendliche abgehängt, haben nicht alles für einen sicheren Kita- und Schulbetrieb getan, haben nicht genau hingeschaut, welche Kinder in die Kita gehen müssen und welche vielleicht zu Hause bleiben können.

Sie haben pauschal Kitas und Schulen geschlossen, um dann festzustellen: oh Wunder, da haben Kinder Lernrückstände, und – oh Wunder – ausgerechnet besonders die, die ohnehin aus herausfordernden Verhältnissen kommen. Na, dann machen wir mal ein Aufholpaket.

Nachdem Sie die Kinder monatelang abgehängt haben, sollen die jetzt ihre Sommerferien opfern und ihre Lernrückständeaufholen. Und das in einer Situation, wo viele Kinder und Jugendliche selbst noch mit Depression und anderen psychosozialen Folgen zu kämpfen hatten. 

Und da lohnt es sich übrigens auch mal, in die Studien zu schauen, woher diese Depressionen eigentlich kommen. Es ist nämlich nicht so schwarz-weiß, wie uns hier mancher glauben machen möchte. Es ist eben nicht einfach nur die geschlossene Schule gewesen und jetzt ist alles wieder gut, wenn wir nur irgendwie die Schulen offenhalten. 

Wir müssen die Schulen offen halten, aber wir müssen sie dann auch sicher machen.

Denn die Geschichte von dem 11-jährigen Mädchen, das Corona mit aus der Schule nach Hause gebracht hat und dessen Vater dann an Corona gestorben ist – das lässt mich zumindest nicht kalt. 

Und genauso wenig lässt mich kalt, wie häusliche Gewalt gestiegen ist. 152 Kinder, die im ersten Coronajahr gewaltsam zu Tode gekommen sind – das sind 35 Prozent mehr als im Vorjahr. 

Schule auf oder Schule zu, das darf nicht die Frage sein. Die Frage muss sein: was braucht jedes einzelne Kind?

Nina Stahr

Haben Sie eigentlich mal mit Kindern und Jugendlichen gesprochen, mit Lehrkräften? Wissen Sie, was die brauchen? 

Die brauchen ein stabiles Umfeld, die brauchen Zeit, um in der Schule in Ruhe wieder anzukommen – und nicht Nachhilfe in den Sommerferien. Diese Fokussierung auf Wissensvermittlung in der Schule – das ist so 19. Jahrhundert; stattdessen müssen wir die Lehrpläne entschlacken, wir müssen Beziehungsarbeit in den Mittelpunkt stellen – gerade um die psychosozialen Folgen abzumildern. 

Und da bin ich sogar bei Ihnen, lieber Herr Jarzombek, 

ich finde es großartig, dass Sie hier so interessiert nach dem Startchancenprogramm fragen – aber das offenbart ja vor allem zwei Dinge: 

Zum einen, dass offensichtlich wirklich große Fragezeichen bei der CDU sind, wie man eigentlich Schulsozialarbeit in die Schulen bringt, und zum anderen, dass Sie genau dieses Unwissen kaschieren wollen, damit niemand merkt, dass Sie in den letzten Jahren wirklich ausreichend Zeit gehabt hätten, das mal auszuprobieren.

Meine Zeit ist fast am Ende und das ist vielleicht auch ganz gut so – ich würde hier irgendwann explodieren bei Ihren Anträgen – deshalb komme ich zum Schluss.

In dieser Pandemie wurden Kinderrechte mit Füßen getreten, Inklusion wurde um Jahrzehnte zurückgeworfen und Kinder und Jugendliche haben signalisiert bekommen: Ihr seid nicht so wichtig. Wir sind ihnen schuldig, dass wir das ändern – und zwar nicht mit einem weiteren Aufholprogramm, sondern mit strukturellen Änderungen wie dem Startchancenprogramm. Und das gehen wir als Ampel jetzt an!

Vielen Dank!

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